„Tide Pod Challenge“: „Sie riskieren ihr Leben für ein paar Klicks im Internet“ - WELT (2024)

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Wer in sozialen Medien wie Facebook, Twitter oder Instagram unterwegs ist, wurde in den vergangenen Jahren immer wieder aufgefordert an „Herausforderungen oder Mutproben“ teilzunehmen. Manche waren ziemlich dämlich und verschwanden schnell wieder aus dem Netz, andere zogen sich über Wochen und Monate hin und galten vor allem bei Jugendlichen als ziemlich cool.

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Die „Ice Bucket Challenge“ war dabei eine der populärsten und gleichzeitig harmlosesten. Dabei musste sich der Teilnehmer vor laufender Kamera nur einen Eimer eiskaltes Wasser über den Kopf schütten. Wer sich nicht traute, durfte sich mit einer 100 Dollar Spende an die ALS-Forschung freikaufen.

Schmerzfrei blieb meist auch die „Mannequin“-Herausforderung, bei der die Teilnehmer aus einer normalen Lebenssituation heraus urplötzlich wie eine Puppe erstarrten. Und auch der „Bottle Flip“-Wahn, bei dem Jugendliche eine teils mit Wasser gefüllte Flasche rückwärts um 360 Grad warfen bis die Flasche am Boden wieder zum Stehen kam, brachte vielleicht Eltern an den Rande eines Nervenzusammenbruchs, Verletzungen gab es dabei aber eher nicht.

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Die neue „Mutprobe“, die sogenannte „Tide Pod Challenge“ die zurzeit im Internet die Runde macht, könnte dagegen nicht nur schwere Vergiftungen zur Folge haben, sondern im schlimmsten Fall sogar tödlich enden. Allein in den ersten drei Wochen dieses Jahres meldeten die US-Gesundheitsbehörden 39 Teenager, die in einer Klinik aufgrund schwerer Vergiftungen behandelt werden mussten. Im vergangenen Jahr waren es 53 Fälle.

Hohes gesundheitliches Risiko

Bei der „Herausforderung“ stecken sich die Teilnehmer die bunten Kapseln des gleichnamigen US-Waschmittels in den Mund und beißen so lange auf den „Tide Pods“ herum, bis die feine Gelhaut platzt, sich das flüssige Waschmittel auf der Zunge verteilt und langsam aus dem Mund herausläuft. Das Video dieser „Mutprobe“ stellen sie dann auf YouTube. Welchen Gefahren sich die Teilnehmer dabei aussetzen, scheint den meisten nicht bekannt.

„Die Jugendlichen riskieren ihr Leben“, sagt Alfred Aleguas vom Poison Information Center in Tampa, in Florida. „Und für was? Für ein paar Klicks im Internet.“ Der Experte für Vergiftungen bezeichnet die angebliche Mutprobe nicht nur als gefährlich, sondern als „ziemlich bescheuert“.

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YouTube und Facebook kündigten mittlerweile an, Videos der Tide Pod Challenge, zu sperren. „Inhalte, die andere zu gefährlichen Aktionen auffordern und sie dem Risiko von Verletzungen aussetzen, verstoßen gegen unsere Politik“, hieß es in einer Erklärung von YouTube.

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„Das ist mehr als nur Seife und sollte noch nicht einmal in die Nähe eines Mundes kommen“, warnt auch die Ärztin Dr. Diane Calello. Das Waschmittel sei hoch konzentriert, giftig und bestehe vor allem aus Chemikalien. Es sei zum Waschen von Kleidung gedacht und nicht zum Essen.

Wer die Kapsel zerbeiße, riskiere „schwere Verätzungen des Mundes sowie der Speise- und Luftröhre“. Gelangen Partikel der Tide Pods in den Magen, kann es zu schweren Durchfällen kommen. Auch von Atemproblemen wird berichtet. Und von Ohnmachtsanfällen. Menschen mit Gesundheitsproblemen wie Asthma könnten im schlimmsten Fall daran sterben.

Procter & Gamble ist „zutiefst beunruhigt“

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Aufgeschreckt von den Berichten einer Tide Pod Challenge ist auch der Waschpulverhersteller Procter & Gamble. „Wir sind zutiefst beunruhigt über die absichtliche und falsche Nutzung unseres Produktes“, hieß es in einer Erklärung. „Diese Kapseln sind zum Reinigen von Wäsche gedacht.“ Man sollte damit nicht herumspielen. Selbst dann nicht, wenn es als Witz gedacht sei. „Wie alle Haushaltsmittel müssen diese Produkte vorschriftmäßig benutzt und sicher verstaut sein.“

Procter & Gamble veröffentliche mittlerweile ein Video auf YouTube, in dem der Footballstar Rob Gronkowski mit einem wiederholten „No, No“ und erhobenen Zeigefinger vor der Tide Pod Challenge warnt. Tide Pods essen, sei eine ganz blöde Idee, so der Spieler der New England Patriots. „Wascht damit, aber esst es nicht.“

Das Problem mit den Tide Pods ist für Procter & Gamble dabei nicht neu. Neu ist allerdings die Internet-Challenge. Wann die „Mutprobe“ begonnen hatte, ist unklar. Vor zwei Jahren hatte sich die US-Satire-Zeitung „The Onion“ einmal lustig darüber gemacht wie es wäre, diese Kapseln zu essen. Im März des vergangenen Jahres stellte die Comedy-Webseite CollegeHumor ein Video ins Netz, in dem ein Mann die Kapseln mit seinem Früchtesnack verglich und davon träumte in die Tide Pods hineinzubeißen.

Unfälle sind bekannt. Tote auch

Procter & Gamble kann darüber nicht lachen. Nachdem sie das Produkt 2012 erfolgreich auf den Markt eingeführt hatte, kam es vor allem unter Kleinkindern und älteren Menschen mit Alzheimer immer wieder zu Unfällen. Sie sahen in den bunten Kapseln offenbar Süßigkeiten, die sie essen mussten. Acht Kinder unter fünf Jahren sollen nach der Einnahme der Kapseln seit 2012 gestorben sein.

Dabei ist Procter & Gamble nicht der einzige Hersteller von Waschmittel, bei dem es zu Unfällen gekommen war. Insgesamt zählten die Gesundheitsbehörden allein im vergangenen Jahr 12.300 Zwischenfälle mit den praktischen und sauberen Waschmittelkapseln, 10.500 Mal waren Kinder unter fünf Jahren betroffen.

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Bei den Zahlen geht es nicht nur um die Marke Tide Pods, sondern um alle auf dem Markt befindlichen Produkte. Am vergangenen Freitag warnte die US-Konsumsicherheitskommission (USCPC) in einem Tweet seine 42.000 Followers: „Essen Sie keine Waschmittelkapseln.“

Der Senator von New York, Chuck Schumer, dürfte sich mittlerweile in seiner Kritik an den bonbonfarbenen Kapseln bestätigt fühlen. Der Demokrat warnte bereits 2012 bei der Einführung der Tide Pods vor möglichen Verwechslungsgefahren. „Ich weiß nicht, warum die so köstlich aussehen müssen“, sagte damals Schumer. „Immer wenn ich diese Kapseln sehe, bin ich versucht, da reinzubeißen.“

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