„Alles steht Kopf 2“: 13 Fragen und Antworten zum Pixar-Blockbuster - WELT (2024)

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Man kann den Menschen nicht in den Kopf gucken, so lautet eine Alltagsweisheit. Gegen sie verstieß der Pixar-Film „Alles steht Kopf“ 2015 auf geniale Weise: Er brachte das Seelenleben einer Elfjährigen auf die Leinwand. Hauptschauplatz war die Kommandozentrale im Schädel der Protagonistin. Freude, Kummer, Angst, Wut und Ekel, verkörpert als wuschelige Wesen, stritten sich um die Steuerknüppel, durchstreiften aber auch, als das Mädchen nach einem Umzug eine ernsthafte psychische Krise durchlebte, die düsteren Labyrinthe des Unterbewusstseins.

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Nun kommt, fast zehn Jahre später, das Sequel. In „Alles steht Kopf 2“ ist Riley, die Hauptfigur, nur zwei Jahre älter, steht aber an einer Entwicklungsschwelle: Die Pubertät beginnt, der Wechsel zur Highschool steht an. Begleitend treten im Kopf des Teenagers völlig neue Emotionen ihren Dienst an. Wir stellen die entscheidenden Fragen zum Familienfilm des Sommers – und beantworten sie nach bestem Wissen und Gewissen selbst.

Zuerst das Wichtigste: Sollte man sich „Alles steht Kopf 2“ anschauen?

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Ja, zumindest dann, wenn man sich für die Mechanik der menschlichen Seele interessiert, wenn man Kinder hat oder wenn beides zutrifft. In jedem Fall muss man den Film im Kino sehen.

„Alles steht Kopf 2“: 13 Fragen und Antworten zum Pixar-Blockbuster - WELT (1)

Warum nicht später im Streaming?

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Weil man sich im Dunkel des Kinosaals genau so fühlt wie die Emotionen im Kopf des verwirrten Teenagermädchens: Sie verfolgen dessen Leben als Beobachter auf einer riesigen Bildfläche, anteilnehmend und doch davon getrennt. Nie hat der meistens unangebrachte Begriff „Kopfkino“ mehr Sinn ergeben.

Schön, aber das klingt selbst verwirrend. Worum geht es denn konkret?

Riley nimmt in den Sommerferien an einem Eishockey-Feriencamp teil. Dort ist sie hin- und hergerissen zwischen ihren zwei treuen, aber etwas außenseiterischen Freundinnen von der Mittelstufe und einer cooleren, arroganteren High-School-Clique um das Alpha-Mädchen Val. Ihren Platz in der neuen Gruppe kann sich Riley nur erobern, wenn sie sich von der alten Gruppe lossagt und dabei selbst ein bisschen böse wird. Dabei spielt der Sport als Schauplatz symbolischer Gewalt, auf dem Konkurrenzkämpfe ausgetragen und Hierarchien ausgehandelt werden, eine zentrale Rolle. Die Matches sehen übrigens atemberaubend aus, selbst wenn man sich nicht für Eishockey interessiert.

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Aber es ist kein Lehrfilm über Sport- und Entwicklungspsychologie, oder?

Nein, nein, überhaupt nicht! Eher ein mitreißender Bildungsroman, inszeniert als Mischung aus Actionfilm und Videospiel.

Wo kommt denn die Action her, wenn sich die Handlung nur in der Gedankenwelt des Mädchens abspielt?

Ein Beispiel: Gegen Anfang des Films, das Mädchen schläft unruhig in seinem Jugendzimmer, verkriechen sich auch die altgedienten Emotionen Freude, Kummer, Angst, Wut und Ekel in ihren Kojen, als – mitten in der Nacht – plötzlich eine rote Alarmleuchte mit der Aufschrift „Pubertät“ zu dröhnen und zu flackern beginnt. Kaum ist der Alarm gestoppt, durchschlägt eine Abrissbirne die gläserne Rückwand der Kommandobrücke, und ein Trupp schnauzbärtiger Bauarbeiter seilt sich von oben ab, um die psychologische Inneneinrichtung unsentimental mit Kettensägen zu zerlegen und gelbe „Pubertät bei der Arbeit“-Warnschilder aufzustellen.

Die Pubertät ist in „Alles steht Kopf 2“ also eine Umwertung aller Werte, ein großes, nietzscheanisches Zerstörungswerk?

So ähnlich, ja. Aber vor allem ist sie ein radikaler Regierungswechsel in der Psyche. Hat im Prequel noch die unschuldige Freude das Oberkommando geführt, unterstützt und ergänzt von der nur vorübergehend verstoßenen Trauer, so übernimmt im Sequel der Zweifel die Regierungsverantwortung, ein hochnervöser Kobold mit weit aufgerissenen Augen und unentschiedenem Grinsen.

Der Zweifel? Aber das ist doch ein sehr edles Gefühl! Nach Descartes beginnt damit alle Philosophie.

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Richtig, und auch in „Alles steht Kopf 2“ zerstört der Zweifel als erstes die zu Gewissheiten erstarrten Erfahrungssätze, die aus einem unterbewussten Sumpf wie Fäden in die Ich-Zentrale emporwachsen und sich dort zu Eis-Skulpturen verknoten, die an Teppichklopfer oder Mandalas erinnern. Allerdings heißt der Zweifel im amerikanischen Original „Anxiety“, ein weiterer und schillernderer Begriff: Vor allem beschreibt er die existenzielle Ängstlichkeit und Unsicherheit der Smartphone-Generation, deren depressive Störungen der konservative Psychologe Jonathan Haidt gerade in seinem Bestseller „The Anxious Generation“ (deutsch: „Generation Angst“) analysiert. Der Film ist also auch ein dreidimensionaler und animierter Feuilletonessay über die Jugend von heute, nur viel unterhaltsamer, wie ich zugeben muss.

Was macht denn der Zweifel, was macht die „Anxiety“ mit der Jugend?

Der Zweifel weist die kreativen Hilfsarbeiter der Vorstellungskraft an, sich in ihren wabenartigen Zeichnerkabinen möglichst negative Verläufe jeder denkbaren sozialen Situation auszumalen, um sich für mögliche Rückschläge zu wappnen – was natürlich nicht zur Stärkung des Selbstbewusstseins beiträgt. Außerdem schießt er all jene in bunten Glaskugeln eingefangenen Erinnerungen, die zum vertrauensvollen Schutzraum der Kindheit gehört, auf eine dystopische Müllhalde am äußersten Horizont der Seelenlandschaft. Man könnte das mit Freuds topischem Strukturmodell des psychischen Apparats beschreiben, aber vielleicht ist Lacans „Objekt klein a“ hier die bessere Analogie, um …

Stop, keine Feuilletonvorträge bitte, was also bewirkt „Anxiety“?

Der neue Herr im Haus des Ichs weist sein Kabinett – es besteht aus der schüchternen und grobmotorischen Peinlichkeit, dem äußerlichkeitsbewussten Neid und dem gelangweilt am Smartphone scrollenden Ennui – an, das alte Gefühlsregime zu verhaften, und lässt es in ein panzerschrankartiges Verlies in den Kellern der Seele sperren. Dort treffen die entsorgten Emotionen auf ausgemusterte Kindheitsidole, darunter eine etwas zweidimensionale Zeichentrickfigur und ein grobpixeliger Fantasy-Computerspielheld. Der bestreitet die lustigste Szene des Films. Sein Spezialangriff besteht nämlich darin, dass er sich …

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Halt, keine Spoiler! Wie verbindet sich die innere Handlung denn mit dem äußeren Plot im Eishockey-Feriencamp? Die Story vom Anfang, nette Clique versus coole Clique …

Diese Verbindung gelingt mit müheloser Eleganz. In einer Szene, Riley hängt gerade mit den Bully-Mädchen ab und lästert demonstrativ über ihre alte Lieblingsband, stoßen die alten Freundinnen dazu und erinnern sie wütend daran, dass sie doch eben noch zusammen ein Konzert der vermeintlich peinlichen Kinderband besucht haben. Für einen Moment ist Riley verzweifelt: Ihr Gesicht spiegelt die völlige Unmöglichkeit, das alte und das neue Ich zu vereinen. Doch bevor es sie zerreißt, findet sie eine Lösung und sagt mit übertrieben lässiger Stimme: „Klar, das war total cool!“ Der Satz löst in der canyonartigen Landschaft der Psyche ein Erdbeben aus, das alle Fundamente erschüttert und vom Katastrophen-Warnruf „Achtung, Sarkasmus, rette sich wer kann!“ begleitet wird.

Wie geht der Konflikt aus?

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Moment, ich dachte, wir sollen nicht spoilern? Nur eins sei verraten: Es ist kein langweiliger Sieg der Moral über das Böse, keine kitschige Rückkehr zu den vermeintlich einzig wahren, echten Werten.

Und zuletzt: Wie wirkt sich dieser Film über Emotionen auf die Emotionen im Kopf des Zuschauers aus?

Dort ereignet sich mustergültig das, was Aristoteles in seiner Poetik beschrieben hat: eine Katharsis. Es werden die unterschiedlichsten Affekte in Bewegung gesetzt, mit einem reinigenden, befreienden Effekt.

Muss man weinen?

Darüber wollen wir hier nicht reden.

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